Provinz

Wir bauten uns Amerika

Provinz spielen Folkpop, der emotional mal Höhenlagen erklimmt, mal in tiefe Täler absteigt. Ihr Sound hat auch mit dem Ort zu tun, an dem sich ihr bisheriges Leben abspielte: dem 4.500-Seelen-Dorf Vogt in Oberschwaben. Auch ohne Festivalsommer 2020 starten die vier Newcomer von dort aus in die weite Welt.

Eine katholische und eine evangelische Kirche, ein Penny-Markt und ein Edeka, ein Sportplatz und eine Tankstelle, die um 21 Uhr dicht macht – in unter einer Stunde kann man Vogt bei Ravensburg von Nord nach Süd und Ost nach West zu Fuß erwandern. Dahinter kommen Naturschutzgebiete, irgendwo die Stadt und in der Ferne die Berge. Wenn man als Jugendlicher hier etwas erleben will, braucht man gute Freunde, viel Kreativität und einen Ort, an dem man ungestört sein Ding machen kann. Vincent, Robin und Leon haben ihre Basis im elterlichen Keller ihres Bandkollegen Moritz errichtet und machen dort Musik, die sie schon jetzt weit über die Grenzen ihrer kleinen oberschwäbischen Heimatgemeinde hinausführt. "Und ich hab' Langeweile, denn hier unten hinterm Hügel/ Gibt es meistens nichts zu feiern, also schießt mir in den Kopf", quittiert Sänger Vincent das mit rotzigem Trotz, doch nicht nur für Befreiungskämpfe hat seine Band Provinz den richtigen Soundtrack.

Es ist kompliziert. Der strahlende Glanz des Mythos' Großstadt lockt die Fantasie verhinderter Nachtschwärmer, doch ob das Gras woanders tatsächlich grüner ist, das bleibt die große Frage – etwa auf der ersten Single "Neonlicht". Die Sterne zumindest sehe man von Zuhause aus immer noch am besten, heißt es im Refrain. Das Erleben bleibt in jedem Fall das gleiche, ob in Berlin, Breitenbach oder Bietigheim-Bissingen – und genau deshalb sind Provinz' Verarbeitungshymnen auf den ersten Rausch oder die erste Beziehung so universell: "Wenn ich dann voll bin, alle Flaschen leer/ Ich endlich alleine bin und es endlich leise wird", dann bricht eben überall der Boden aus der Welt.

Wie sehr Sänger Vincent sich emotional dabei in melodischem Hauchen bis hin zu heiserem Schreien verausgaben kann, dürfte selbst Fans von Sturm-und-Drang-Rapper Casper beeindrucken. "Ich lasse mich komplett in meine Emotionen reinfallen und dazu gehört, dass man sich völlig entblößt und reinsteigert", erklärt der junge Mann mit den Locken, "dann gibt es auf der Welt nichts Schlimmeres mehr oder nichts Schöneres, manchmal weiß ich das selber nicht mehr so genau." Wie die Referenzgrößen AnnenMayKantereit finden die vier Schwaben den Wahnsinn immer wieder im Alltäglichen. Mamas altem Fiat zum Beispiel, der in Augen sind rot noch einmal am Waldrand geparkt und mit Rauch und Wehmut über die großen Freundschaftsmomente der Vergangenheit gefüllt wird. Doch Selbstgedrehte können Provinz auch in Hochstimmung katapultieren. Im Song "Was uns high macht" klemmen sich die Vier die soulige Coolness von Seeed auf den Gepäckträger und cruisen damit schwerelos durch Arcade Fires "Suburbs".

Einfach richtig high sein, das passt auch zum grandiosen Aufstieg der letzten Monate, auf den die Band zurückblicken kann. Schon für ihre Debüt-EP "Reicht dir das" (2019) unterschreiben Provinz beim Major-Label Warner und finden sich plötzlich auf den Bühnen von NDR Soundcheck, Kosmos Chemnitz und dem Reeperbahn Festival wieder. Für diesen Sommer standen neben einer internationalen Tour über ein Duzend weiterer Festival-Gigs etwa auf dem Rocco Del Schlacko und dem Highfield Festival auf dem Programm – doch die Pandemie macht auch vor dem geballten Aufstiegswillen der Newcomer keinen Halt. Raus auf die große Bühne geht es für Provinz im Herbst trotzdem – ihren American-Dream-verdächtigen Erfolg verarbeiten sie zudem auf ihrem ersten Album "Wir bauten uns Amerika". Darauf widmen die vier Fußballfans auch einen Song ihrem Vorbild Diego Maradona, der seinem Höhenflug legendärer Weise ebenso spektakuläre Abstürze folgen ließ. Vor einem ähnlichen Schicksal sind Provinz jedoch gefeit. Pianist Robin stellt klar: "Du kommst nach 'ner Hardcore-Phase nach Hause und die Mama sagt: 'Hey Robin, mach mal die Wäsche'. Da bleibt man ganz automatisch auf dem Boden."

Auf Clubtour 2020:
09.08. Winterthur, 22.08. Berlin, 01.09. Erlangen, 02.09. Leipzig, 03.09. Berlin, 04.09. Hamburg, 06.09. Hannover, 07.09. Münster, 08.09. Frankfurt, 09.09. München, 11.09. Stuttgart, 12.09. Ratingen, 01.10. Stuttgart, 02.10. Köln, 04.10. München, 08.10. Zürich, 09.10. Stuttgart, 10.10. München, 11.10. Wien, 14.10. Dresden, 15.10. Hannover, 16.10. Köln, 17.10. Bremen, 19.10. Hamburg, 19.10. Hamburg (Zusatzshow), 21.10. Berlin, 23.10. Chemnitz, 24.10. Nürnberg, 25.10. Wiesbaden, 27.10. Saarbrücken, 28.10. Heidelberg, 29.10. Freiburg, 30.10. Ravensburg

2021:
23.03. Saarbrücken, 24.03. Freiburg, 25.03. München, 26.03. München, 27.03. Zürich, 29.03. Stuttgart, 30.03. Stuttgart, 31.03. Heidelberg, 02.04. Hamburg, 03.04. Hamburg, 04.04. Bremen, 06.04. Köln, 07.04. Köln, 09.04. Chemnitz, 10.04. Wien, 11.04. Dresden, 12.04. Nürnberg, 14.04. Wiesbaden, 15.04. Berlin, 16.04. Hannover, 17.04. Ravensburg

Foto: Valentin Ammon

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Wir bauten uns Amerika
Warner, VÖ: 17. Juli