Dour Festival - So war es 2017

Sieben Bühnen, gefüllt mit einem extrem geschmackvollen Programm ohne jede Genre-Begrenzung: Das ist seit 29 Jahren die Idee des belgischen Dour Festivals. 2017 hat das wieder einmal hervorragend funktioniert.

Gut: Man benötigt schon eine große stilistische Offenheit, um beim Dour Festival voll auf seine Kosten zu kommen. Ist man eher Purist oder strammer Fan eines bestimmten Genres, wird einem das wirklich Besondere dieses fünftägigen Festivals entgehen. Nur, wer Rock ebenso mag wie HipHop, Techno, Soul oder Drum'n'Bass, wird die enorme Vielfalt der über 130 Acts zu schätzen wissen, die den gut 50.000 Besuchern rund 18 Stunden täglich die totale Vollbeschallung bieten. Wenn man allerdings gerade diese stilistische Breite zu goutieren weiß, ist man wohl nirgendwo besser aufgehoben als hier. Denn auf welchem anderen Festival sonst kann man – um mal einen willkürlichen Festivaltag, in diesem Fall den Samstag, zu beschreiben - zu dem brodelnden Rock von The Moonlandingz frühstücken; sich von All Them Witches den zweiten Kaffee Metalmäßig ins Gesicht blasen lassen; am frühen Nachmittag zu De La Soul mitsamt Bigband lässig grooven; später zu Goldie und Chase & Status hüpfen, was das Zeug hält; sich am frühen Abend von dem Zauberpop von Phoenix verwöhnen lassen, dann mit Talib Kweli in die Tiefen des Conscious Rap absteigen; dem Elektronik-Pionier Carl Craig dabei zusehen, wie er seine Beats mit einem Live-Synthesizer-Orchester verschraubt, die belgischen Indierocker Millionaire nach 15 Jahren Stille für ihre wiedergewonnene Dringlichkeit feiern; um dann am Ende die letzten Stunden bis zum Sonnenaufgang auf dem wirklich atemberaubend illuminierten großen Dancefloor zu verbringen, wo Techno-Größen wie Nina Kraviz, Sam Paganini oder Adam Beyer der Masse von sicher 15.000 Tänzern das Letzte abverlangen. Jede einzelne der hier genannten Shows wäre die Reise allein schon Wert gewesen, derart hohe musikalische Qualität in dieser Dichte gibt es sonst wirklich nicht oft.

img-DourDenn neben den bekannten Acts gibt es stets auch eine Vielzahl an Geheimtipps und kommenden Größen, statt auf die ewig gleichen Headliner zu setzen. Zwei Dinge sind zudem besonders hervorzuheben: Zum einen das belgische Publikum, begeisterungsfähig wie ein Vierjähriger unterm Weihnachtsbaum und offenbar wirklich ausgestattet mit einem brutal breiten Musikverständnis, da jeder Act befeiert wird, als gäbe es kein Morgen. Und zum anderen die Lichtproduktion aller Bühnen, die die Konzerte mit einer Lightshow-Orgie bereichert, als habe man dies im Vorfeld wochenlang choreografiert. Insbesondere der Elektropedia Ballzaal, eine Art Open-Air-Club mit Hunderten von Lichtern und einem Dutzend Videoscreens, verschickt selbst jene gewaltig, die höchstens ein paar Bier getrunken haben (wobei das die wenigsten sind). Bleibt nur zu hoffen, dass das Dour dieses Klasse-Niveau halten kann, und dass sich die selbst am Presseeingang extrem aufwendigen Sicherheits-Checks – man merkt eben, dass das das Brüsseler Problemviertel Molenbeek, die Keimzelle der Attentäter von Paris, nur eine halbe Stunde Autofahrt entfernt ist – mit den Jahren wieder etwas normalisiert werden können. Doch so viel steht fest: Wir kommen wieder – schon, um den Festival-eigenen Schlachtruf, der alle paar Minuten über das gesamte Gelände schallt, wieder mitgröhlen zu können: „Doureeeeuuuuhhh!“

Sascha Krüger

Festivals