Rock Werchter - So war es 2015 beim belgischen Festival-Giganten

Es ist eines der ganz großen europäischen Festivals, dabei aber unglaublich entspannt - und in Deutschland erstaunlich unbekannt: Das belgische Rock Werchter ist trotz seiner Größe und Qualität bisher nur so etwas wie der größte Geheimtipp der Festivalszene Europas. Wir haben uns dort umgesehen - und mehr als nur grandiose Konzerte von Künstlern wie Caribou, Rise Against oder Pharrell Williams erlebt.

Am Anfang wirkt es noch wie die Ruhe vor dem Sturm: Die Anreise zum Rock Werchter, das in dem kleinen gleichnamigen Dorf 35 Kilometer von Brüssel entfernt beheimatet ist, gestaltet sich ungewöhnlich entspannt. Mit dem angenehm vollen Shuttle-Bus geht es auf kleinen Sträßchen entlang eines Flusses zum Festivalgelände. Dass hier über 88.000 Besucher täglich Platz finden und das Rock Werchter daher zu den vier größten Festivals Europas zählt, könnte man dank des gut strukturierten Geländes fast vergessen, auf dem sich die Menschenmassen selbst zur Stoßzeit gut verteilen - und selbst nach zwölf Bier und konzertbedingtem Endorphin-Flash noch sehr rücksichtsvoll und freundlich miteinander umgehen.

Neben insgesamt drei Bühnen gibt es sowohl kleine Gourmet-Food-Trucks als auch Kunst auf dem Gelände. Die sogenannten North West Walls bieten dabei das beeindruckendste Schauspiel: Arne Quinze, einer der bekanntesten Künstler Belgiens, hat dort als Kurator meterhohe, auf Schiffscontainer gemalte Kunstwerke aufstellen lassen.

Der musikalische Höhepunkt des ersten Festivaltages sollten eigentlich die Foo Fighters mit einem zweieinhalbstündigen Set sein. Wegen Dave Grohls Beinbruch bleibt den Besuchern dieses Erlebnis jedoch leider verwehrt. Das Rock Werchter hat das allerdings kaum aus dem Konzept gebracht: Royal Blood - die eigentlich für den Samstag gebucht waren und dann einfach noch einmal auftreten - füllen den Nachmittag auf und stellen eindrücklich unter Beweis, wie massiv der Sound von nur einem Bassisten und einem Schlagzeugers klingen kann. Als Headlinerersatz stehen nun Faith No More auf der Bühne. In weißen Anzügen und vor bunten Blumen-Arrangements spielen die Crossover-Ikonen neben alter und neuer Hits kurzerhand sogar "All My Life" von den Foo Fighters an. Keyboarder Roddy Bottum ist so begeistert von dem Gig, dass er sich wünscht, "Dave Grohl würde sich sein Bein jeden Tag brechen". So richtig die Menge zum toben bringen konnten zuvor schon Florence And The Machine passend zur absteigenden Sonne. Direkt zum ersten Song macht Frontfrau Florence Welsh Dave Grohl in Sachen Laufmetern Konkurrenz und bewegt sich so schnell vom linken zum rechten Bühnenrand, dass die Kamera Schwierigkeiten hat, ihr zu folgen. Nur wenige Songs später wagt sie sich sogar runter von der Bühne und stürmt in die Menge. Der Security-Mann hat alle Not, sie nach ihrem spontanen Crowdsurfing-Ausflug wieder heil auf die Bühne zu geleiten.

Den Freitag läuten Death Cab For Cutie mit einem buntgemischten Set ein. Ben Gibbard hält irgendwann ein weißes Blatt Papier mit dem Worten "Rock Werchter" hoch und erzählt, dass dieses Blatt am Rand der Bühne geklebt habe. Daraufhin echauffiert er sich darüber, dass der einzige Job der Musiker wäre, ihre Musik zu spielen und wenigstens zu wissen, wo man sein - und zerknüllt den Zettel und wirft ihn in die jubelnde Menge. Pharrell Williams hätte ihn später gebrauchen können. Der begrüßt als letzter Künstler auf der Hauptbühne die Besucher mit den Worten "Hallo Brüssel". Was Florence And The Machine donnerstags waren, sind Alt-J freitags. Die Idee, die Briten in den "Barn", eine der beiden geschlossenen Zeltbühnen abseits der Hauptbühne, zu verfrachten, dürften viele Besucher verflucht haben. Platz zum Tanzen bleibt keiner, der Schweiß des Nachbars aber trotzdem nicht aus. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Auf der Hauptbühne beginnen derweil Mumford & Sons ihre Show. Während ältere Hits wie "Little Lion Man" oder "The Cave" ausgelassen zelebriert werden, reicht es bei den neueren Songs meist nur zu anerkennendem Kopfnicken.

The Tallest Man On Earth schafft es samstags trotz seiner frühen Spielzeit, mehr als nur ein paar Leute in den "Barn" zu locken. Die Band im Rücken steht dem Schweden äußerst gut, wie ein wohliger warmer Schauer breiten sich die Songwriter-Nummern im Bandsound aus. Auf der Hauptbühne beweist Hozier einige Minuten später, dass er bedeutend mehr drauf hat als "Take Me To Church". Noel Gallagher scheint es das Rock Werchter auch angetan zu haben und so erklingt nicht nur der ewige Oasis-Klassiker "Don't Look Back in Anger", sondern auch das deutlich seltener gehörte "Whatever". Abgelöst wird der Brite von Lenny Kravitz, dessen Set vor Augen führt, wieviele vergessene Hits aus der Feder des US-amerikanischen Superstars stammen. Verantwortlich für das größte Highlight ist aber trotz seiner reduzierten Show eindeutig Damien Rice. Der verzaubert den vollen "Barn" mit seinen Singer/Songwriter-Klängen, für die er nur sich, seine Gitarre und eine Loop-Station braucht, mit der er seine zerbrechlichen Songwriter-Nummern stellenweise zu waren Sound-Orkanen aufschichtet. Und bei romantischen, aber nie kitschigen Hits wie "The Blower's Daughter" vergießen selbst echte Männer die ein oder andere Träne. Wer danach noch umschalten kann, darf auch noch wild in die Nacht hineinfeiern: The Prodigy sorgen mit ihren Aufputsch-Tracks und von Lichtblitzen durchzuckter Bühnen-Show für den letzten Energieschub.

Die Counting Crows und Ben Harper vertreiben am letzten Tag des Festivals die letzten Katerreste. Gegen die Sonntags-Depression helfen als letzter Act Muse mit ihrer gewohnt bombastischen, Effekt- und Hit-geladenen Bühnenshow. Ein würdiger Abschluss für ein Festival, das man sich für 2016 unbedingt merken sollte.

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