Jera On Air 2024 - Zwischen Terminstress und Sonnenbrand

Die viertägige Geburtstags-Edition vom Jera On Air 2024 war vollgepackt mit Highlights. Kein Wunder, schließlich gibt es das 30-jährige Bestehen des Festivals mit über 110 Bands im niederländischen Ysselsteyn zu feiern.

Es geht los am Donnerstag bei über 30 Grad und Sonnenschein. Während sich die meisten Festivalbesucher:innen noch auf dem Campingplatz einrichten, eröffnet am späten Nachmittag die US-amerikanische Hardcore-Punk-Band Gel das Festival. Emo-Fans freuen sich am Nachmittag über Movements, mit der eine oder anderen Träne im Publikum, und Hot Mulligan. Weniger sentimental geht es bei den Hardcore-Legenden Madball und Bodycount zu, bevor Bad Religion erstaunlich energetisch ihre Klassiker spielt. Den Abend beenden Electric Callboy mit einer maximalistischen Licht- und Feuershow zu ihren Elektro-Beats.

Bad Religion Jera On Air

Bad Religion

Im Raven-Zelt gibt es derweil ein DJ-Set mit dem Namen „Emo Night Mainland“, bei dem Emo-, sowie Metalcore-Fans mit den Hits der Genres auf ihre Kosten kommen. Der DJ hat jedenfalls einen Heidenspaß, während er vor seinem Pult mit der Menge zusammen Bring Me The Horizons „Can You Feel My Heart“ mitgrölt. Am Freitag startet, ebenfalls bei bestem Wetter, das Programm bereits zur Mittagszeit. Die Metalcore-Band Dying Wish rund um Sängerin Emma Boster mobilisiert trotz früher Stunde mal eben 60 bis 70 Menschen dazu, zu ihr auf die Bühne zu bekommen, um mit der Band zusammen bis zum Ende des Sets feiern und tanzen. Der Progressive-Post-Rock von Brutus aus Belgien, der kurz danach folgt, würde am besten im Dunkeln funktionieren, dass es am Freitagnachmittag bei ihrem Auftritt allerdings hell ist und die Sonne außerhalb vom Bühnenzelt so langsam etliche Ohren und Nacken rot färbt, gibt der Atmosphäre des Trios aber nur einen kleinen Dämpfer.

Brutus Jera On Air

Brutus

Sum 41 am späteren Freitagabend haben es eilig und betonen mehrmals, dass sie nicht viel Zeit haben. Schade, ist es doch ob der geplanten Auflösung der Band eines der letzten Male, dass man sie erleben kann. So bringen sie einen Hit nach dem anderen, verzichten dafür aber auf die Ansagen. Die gut gefüllte Crowd freut sich allerdings sichtlich über die Klassiker zum Mitsingen und hüpft so sehr, dass die Holzlatten am Boden vor der Bühne zu beben beginnen.

Samstag soll der einzige Tag sein, an dem das Wetter nicht mitspielt. Tagsüber brennt die Sonne noch so sehr, dass Mitleid aufkommt beim Anblick der endlos langen Schlangen, die sich vor dem „Signing Sessions“-Stand bilden. Am Samstag schreiben sich hier unter anderem While She Sleeps und Bury Tomorrow die Finger wund. Gegen Sonnenbrand und Schweißgeruch gibt es jedoch zum Glück gleich am Stand nebenan kostenlose Sonnencreme und Sprüh-Deo. Das Grime-Punk-Duo Bob Vylan hilft währenddessen den Festivalbesuchenden am Nachmittag erst einmal mit Stretching-Übungen wieder in Fahrt zu kommen und vielleicht den ein oder anderen Kater zu bekämpfen. Wie gewohnt zeigt sich das Duo stark politisch und eröffnet in der Mitte ihres Sets einen FLINTA-only-Moshpit, bevor sich Sänger Bobbie am Ende selbst durch die ganze Menge tragen lässt.

Die Holzlatten am Boden und Zeltdächer über den Konzert-Areas beweisen am Samstagabend, wie gut das Jera On Air auf verschiedenste Wetterlagen vorbereitet ist. Starkregen verwandelt das Infield und den Campingplatz in eine Matschgrube mit Treibsandpotenzial – doch vor den Bühnen ist es trocken. Der Wolkenbruch am Abend begleitet die Auftritte von Frank Carter, der mit seinem Publikum auf Tuchfühlung geht, Comeback Kid und Architects in unterschiedlicher Intensität. Am Ende gießt es jedoch so sehr, dass das Publikum bei Architects praktisch unter dem gewaltigen Zelt vor der Bühne gefangen ist, wenn es nicht völlig durchnässt werden will. Vielleicht sind auch deshalb verhältnismäßig wenig Menschen vor Ort, als die Metalcore-Überflieger ihre reizüberflutende Show auf zwei Ebenen vor gewaltigen LED-Screens und Flammenwerfern performen. Eventuell liegt es aber auch an der späten Uhrzeit - die Briten spielen von kurz nach Mitternacht bis 01:30 Uhr.

Architects Jera On Air

Architects

Sonntag ist der Jubiläumstag, der besondere Zusatz zum dreißigsten Geburtstag. Tatsächlich ist es wohl aber auch der Tag, den sich die Meisten für die Abreise ausgesucht haben. Montag ruft schließlich die Lohnarbeit. Die ausgedünnte Besiedlung sorgt auf dem Campingplatz für gedrückte Stimmung. Trotzdem, es sieht immer noch erstaunlich gut auf dem Acker aus. Die Toiletten und Duschen sind erstaunlich sauber und Klopapier überall vorhanden - was für ein Luxus.

Zurück im Infield versuchen Boston Manor mal eben ihren persönlichen Rekord für die meisten Crowdsurfer zu knacken. Sänger Henry Cox fragt nach drei Vierteln des Sets einen Security-Mitarbeiter, wie viele es bis jetzt gewesen sind. Dieser schaut seine verschwitzten Kolleg:innen an, zuckt die Achseln und antwortet: „Wir haben den Überblick verloren“. So bleibt die Mengenangabe laut Cox bei einer "shit ton of Crowdsurfers." Für ihre fantastische Arbeit gibt es auch zweimal extra Applaus für die Ordner:innen. Den großen Abschluss des Festivals bilden Me First & The Gimme Gimmes, Lionheart, Tesseract, Enter Shikari und The Prodigy sowie ein Feuerwerk.

Das Jera On Air ist traditionsreich und das kann man spüren. Hunderte von Freiwilligen mit einer spürbaren Leidenschaft für Musik sorgen an den Bars, am Einlass oder beim Säubern des Geländes mit ihrer guten Stimmung für eine angenehme Atmosphäre. Einziger Minuspunkt: Es werden einfach zu viele fantastische Bands gebucht, sodass sich der Timetable stressiger anfühlt als jeder Stundenplan, will man die Herzensbands auch alle sehen. Dieses Programm an vier Tagen ist mit Ausdauersport zu vergleichen.

Gute Aussichten fürs nächste Jahr gibt es auch bereits: Vom 26. bis 28. Juni findet das Jera On Air 2025 statt.

Fotos: Bea Gottwald

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