Melt! 2016 Tanzen bis zum letzten Shuttlebus

Am vergangenen Wochenende wurde Ferropolis wieder zum Leben erweckt und zu Deutschlands abwechslungsreichstem Drei-Tage-Dancefloor. Zwischen fünf bombastischen und in allen Farben angestrahlten Baggern wurde gemeinsam eskaliert – ob zu Indie. Pop oder jedweder Form von elektronischer Musik. Es berichtet und fotografierte: Ilka Rückert.

Über die „Stadt aus Eisen“ als brillante Bühne und Arena muss man nicht mehr viele Worte verlieren – wer schon dort war, weiß, wie majestätisch und bunt sich das Rund darstellt; wer noch nicht da war, dem ist es schwer zu beschreiben. Was zunächst auffällt: Die hohe Internationalität des Publikums – man hört fast nur Englisch, in allerlei Dialekten. Was wohl auch mit der geografischen Nähe des Flughafens Leipzig zusammenhängen dürfte, der intensiv von europäischen Billig-Carriern angeflogen wird. Das allein verleiht dem Melt! eine ganz andere Atmosphäre als die an den beiden vorangegangenen Wochenenden besuchten Open Airs, der Fusion und dem Feel. Es scheint, als wollte die britische Feiermeute vor dem anstehenden Brexit noch mal schnell günstige Flug- und Getränkepreise abgreifen.

Als nächstes bemerkt man – insbesondere im Vergleich zu den beiden genannten Festivals – die extrem hohe Professionalität der ganzen Unternehmung. Die Toiletten-, Dusch- und Food-Versorgung ist ausgezeichnet, die zwar durchaus leidige, aber ebenfalls bestens organisierte Shuttlebus-Situation sorgt zwar für längere Wege zum Zelt, aber auch für nette Bekanntschaften in der Warteschlange. Und wer die ganze Nacht durchtanzt, der freut sich durchaus darauf, so weit weg vom eigentlichen Geschehen schlafen zu können, dass man den Festivaltrubel nur aus der Ferne rauschen hört. Einzig die Versorgung mit Wasser, bei den Temperaturen am Samstag und Sonntag existenziell, erscheint uns mit 4 Euro für einen halben Liter plus Pfand doch etwas hoch.

Nachdem der harte Kern von Donnerstag auf Freitag tüchtig vorgeglüht hat, startet das eigentliche Programm am Freitag. Und das gleich mit Wucht: Tame Impala begeistern mit einer ausgeklügelten, psychedelisch hyperbunten Show, in Licht und Musik. Da tanzt jeder, ob Indie- oder Techno-Fan. Danach folgen Boys Noize mit ekstatischem Haudrauf-Material: Zu einer fetten Lightshow wummert sehr guter harter Techno mit melodischen Elementen aus den Boxen. Passend dazu: Der erste von vielen monumentalen Circle Pits, in dem immer wieder von einzelnen Menschen aus dem Publikum eine Solotanznummer aufgeführt wird. Und dann: Vier Stunden gerade Techno-Wucht mit Ben Klock am so genannten Big Wheel. Der Name ist Programm: ein riesengroßes Rad, in dessen Mitte der DJ steht. Hier bleiben wir, trotz des parallel und grundsätzlich viel zu selten auftretenden DJ Koze, der bei zahlreichen Kurzbesuchen aber offenbart, dass er heute nicht so richtig aus dem Quark kommt.

Am Samstag Abend geht es weiter mit der Livebank Deichkind auf der zentralen Melt Stage. Obwohl kein ausgewiesener Fan der Truppe, muss man sagen: Sie bieten eine exorbitante Liveshow, während der per Crowdsurfing nicht nur ein riesen Plantschbecken über die Menge befördert wurde, sondern ein Teil der Band auch innerhalb eines Fasses durch die vor Freude ausrastende Menge fuhr. Zu diesem Zeitpunkt waren die Tanzbegeisterten bereits wieder restlos entflammt. Da hatten Kollektiv Turmstraße an der sehr schön direkt am See gelegenen Gremmi Stage leichtes Spiel: Sie boten mit stimmigen und harmonisch sich immer wieder steigernden Electrosounds ein Alternativprogramm, welches ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Das Lächeln blieb dann auch bei Jamie XX, der anders als bei früheren Auftritten an diesem Abend nicht nur auf melancholische Schlepp-Elektronik, sondern auf richtig abfeierbare Tunes setzt.

Am Sonntag muss dann erst mal ausgeschlafen werden. So schaffen wir es gerade rechtzeitig zu den letzten Tracks von Techno-Legende Josh Wink – ein Meister seines Fachs – und dann zu den Hamburgern Digitalism: Hervorragend gesungene Elemente treffen auf zunächst etwas handtaschenhousig-leichte, zwischendurch aber auch immer wieder hart technoide Sounds. Auch hier ist der Circle Pit wieder mächtig am Rotieren, es wird gesprungen und gebounct, was das Zeug hält. Dann das persönliche Highlight: Pan-Pot am Big Wheel – harter, gerader, kompromissloser, aber trotzdem jederzeit spannender Techno.

Das Hauptprogramm nähert sich dem Ende, aber derart aufgeheizt kann es noch nicht zum Zelt gehen. Und so treffen wir auf dem bildhübschen und stets gut beschallten Sleepless Floor mit den ganz harten Feierbacken zusammen, die bis zum Schluss Vollgas geben wollen und genau das auch tun – bis zur letzten Bassdrum, die Morgens um sieben verklingt. Ein würdiger Abschluss mit Ellen Alien, deren oft mutwillig zerstörte Übergänge sicher Geschmackssache sind, aber ihr Ziel von einer gemeinsam und glücklich absteppenden Masse erreicht. Und so fallen wir am Montag früh um halb acht glücklich und vollkommen leergepumpt ins Zelt.