Roskilde-Festival - Legenden und Vielfalt bei der 49. Ausgabe

Me, We and His Bobness: Das diesjährige Roskilde Festival hat erneut gezeigt, wie Gemeinschaft und Vielfalt auf einem großen Festival funktionieren können. Mit Legenden wie Bob Dylan, Robert Plant, Robyn oder dem Wu-Tang Clan auf der Bühne, Solidarität als übergreifendem Motto für Musik, Kunst und Aktivismus und einem neuen Konzept für Nachhaltigkeit, macht sich das Non-Profit-Event für das anstehende Jubiläum warm.

Mittwoch:

Staub wirbelt auf, als die ersten der ca. 130.000 Besucher um 17 Uhr, mit Eröffnung des Geländes, an den applaudierenden Mitarbeitern und Festival-Volontären vorbei und Richtung Orange-Stage flitzen. Eröffnet wird die Hauptbühne, das Roskilde-Herzstück, in diesem Jahr erstmals durch das gemeinsame Singen dänischer und englischer Volkslieder. Damit rückt das Festival sein diesjähriges Motto "Solidarität" von Beginn an in den Fokus: Es geht um die Gemeinschaft, das Zugehörigkeitsgefühl aller Gruppen zu einem großen Ganzen. Das beginnt mit dem Line-up, das in seiner Vielfalt mit Künstlern von Janelle Monáe, über Girlpool bis zum Wu-Tang Clan Fragen zu Diversität, Genre-Grenzen und Gender-Gefälle erst gar nicht aufkommen lässt, was nicht heißt, dass diese nicht trotzdem Thema zahlreicher Vorträge und Talks sind, und endet bei den gemeinsamen Erlebnissen der Festival-Besucher, dem "Orange Feeling". Neu ist in diesem Jahr außerdem die überarbeitete Aufteilung der Bühnen: Die Elektro-lastige Apollo-Stage hat ebenso wie das kunstvoll gestaltete Avalon-Zelt den Platz gewechselt.

Bob Dylan Roskilde

Foto: Roskilde Festival

Schlendert man an diesem ersten Festivaltag über das Gelände, fällt einem schnell die riesige Skulptur der Künstlerin Claudia Comte auf. Bestehend aus 16 sechs Meter langen Baumstämmen, welche die beiden Worte ME und WE bilden, fungiert diese als Treffpunkt und Begegnungsstätte. Bob Dylan himself, ein Künstler der in über 50 Jahren Karriere die Massen geeint, aber auch gespalten hat, steht am Abend auf der Orange Stage: Der im Programmheft demütig als "His Bobness" angekündigte 78-Jährige tut auch an diesem Abend, was er am besten kann: seine Songs weit über die Grenzen des Wiedererkennbaren hinaus frei interpretieren. Die einen verehren ihn dafür uneingeschränkt, die anderen machen einen Haken auf ihrer Artists-to-see-before-they/I-die-Bucket-List und ziehen nach drei Songs weiter zum nächsten Bierstand. Dylan nimmt es gelassen, er ist nicht auf der Bühne, um irgendwen von sich zu überzeugen, seit Jahrzehnten nicht mehr und wahrscheinlich war er es eh nie. Überzeugt sind einige Stunden später all jene, die sich im Pavillon-Zelt versammelt haben, um Fontaines D.C. zu sehen. Zwischen dem Punk, Post-Punk und New Wave ihres Debütalbums "Dogrel", angereichert mit eindringlichen Spoken-Word-Passagen, scheinen die Iren selbst etwas überrascht ob der euphorischen Stimmung, die ihnen ab der ersten Sekunde ihres Auftritts entgegenschlägt.

Donnerstag:

Der Donnerstag beginnt mit einer musikalischen Überraschung: Die britischen Indie-Newcomer Penelope Isles tauchen für den Nachmittag plötzlich im Line-up auf und werden damit Inbegriff eines der wichtigsten Aspekte des Roskilde-Festivals: der Möglichkeit, ganz unverhoffte Entdeckungen zu machen. So verirrt sich nicht viel Publikum zum Auftritt der Briten. Die allerdings, die zur richtigen Zeit am Pavillon vorbeischlendern, sind mehr als froh über diesen Zufall und bleiben. Auf derselben Bühne steht wenig später eine enttäuschte Julien Baker, die sich, leider vergeblich, größte Mühe gibt, mit ihren verletzlichen Gitarrensongs gegen die Bässe der neuerdings nebenan stehenden Apollo-Stage anzuspielen. Einige Besucher verlassen das Zelt daraufhin gefrustet Richtung Dauerregen.

Julien Baker Roskilde

Foto: Christian Hjorth

Am anderen Ende des Geländes, in der Arena, haben derweil die nur optisch etwas aus der Form geratenen Thrash-Metal-Veteranen Testament die Menge aufgewärmt für den kommenden Auftritt von Led Zeppelin-Frontmann Robert Plant. Plant ist nicht nur gut aufgelegt und bis auf wenige Wackler nach wie vor mit einer der beeindruckendsten Stimmen des Rock gesegnet, er hat mit den Sensational Space Shifters auch eine überragende Band im Schlepptau, die Led-Zeppelin-Songs wie "Black Dog" und "Ramble On" gebührend in Szene zu setzen weiß. 24 Jahre ist Plants letzter Solo-Auftritt auf dem Roskilde-Festival her. Er kommt beim schnellen Nachrechnen zwischen zwei Songs auf ein ähnliches Ergebnis und schätzt so circa 300 Jahre.

Robert Plant Roskilde

Foto: Roskilde Festival

All jene, die am Vortag Fontaines D.C. gut fanden, treffen sich am Donnerstag zu später Stunde bei den Genre-Kollegen von Shame wieder. Hier allerdings gerät die Mischung aus Darbietung der Songs und der viel zu dick aufgetragenen Ian-Curtis-Attitüde von Sänger Charlie Steen in unangenehme Schieflage. Es ist eine Frage der Priorität - wer sich nicht an unnötigem Getue stört, kommt auf seine Kosten, der Rest des Publikums bleibt eher skeptisch und lässt den Abend lieber woanders ausklingen.

Freitag:

Strahlender Sonnenschein versucht am Freitag das Wetter vom Vortag wieder gut zu machen. Viele nutzen den vorübergehenden Sommereinbruch, um die zahlreichen Kunstinstallationen auf dem Gelände zu erkunden, Graffiti-Art des Künstlers ZUSA zu bestaunen oder sich an Vorträgen und Workshops zu beteiligen, die in der Festival-App in der eigenen Line-up-Kategorie "Arts And Aktivism" gelistet sind. So kreiert der brasilianische Künstler Eli Sudbrack beispielsweise das farbenprächtige "House Of Chroma", einen extravaganten Pavillon mit beweglichen Installationen unter der Decke. Dieser dient im Laufe des Festivals wiederum als Plattform für Vorträge und Performances. Auch das ganz in Orange gehaltene Ambereum, eine Open-Air-Fläche mit zahlreichen Sitzgelegenheiten, lädt mit verschiedenen zarten Hintergrundsounds zum Träumen ein.

House Of Chroma Roskilde

Foto: Kim Matthai Leland

Schlendert man von dort aus durch einen orangefarbenen Vorhang zur Arena, wo an diesem Abend unter anderem The-Smiths-Gitarrist Johnny Marr spielt, fallen die Wortspiele auf den Leinwänden auf, die für mehr Sauberkeit und Achtsamkeit während des Festivals werben. "Wir mögen Luft als Stilmittel in Gitarrensoli, nicht aber in einer zurückgelassenen Luftmatratze. Räum deinen Müll auf", heißt es da unter anderem. Die Müllberge, die das Festival hinterlässt, waren in der Vergangenheit beachtlich, was auch ein Grund dafür ist, dass nun wiederverwendbare Bier- und kompostierbare Kaffee-Becher zum Einsatz kommen. Johnny Marr, der ähnlich wie Robert Plant auf eine mitreißende Mischung aus eigenen Songs und Klassikern der Ex-Band setzt, eint das so sensibilisierte Publikum dann musikalisch mit einem rührenden Sing Along zum The-Smiths-Klassiker "There Is A Light That Never Goes Out", nur um anschließend, ganz die personifizierte, gitarrenbehängte Lässigkeit, wie nach einem Treffen mit den liebsten Freunden aus der Jugend, festzustellen: "Das war lustig, lasst uns das mal wieder machen!"

Samstag:

Oasis-Brain Noel Gallagher hält sich am Finaltag, dem Festival-Samstag, in der gut gefüllten Arena ebenfalls nur wenige Songs lang mit seinem drei Alben umspannenden Solowerk auf, dann greift er unter lautem Jubel zur Akustikgitarre – es ist Zeit für Oasis-Hymnen. Die reichen von "Wonderwall", über "Little By Little" bis hin zu "Don’t Look Back In Anger". Songs wie "Stop Crying Your Heart Out" sind dabei für einige Fans im Publikum leichter mitgesungen als getan, bedeuten sie doch für die meisten Anwesenden eine ganze Jugend, gebündelt in drei Minuten. Gallagher, der während der Show kaum eine Miene hinter seinen runden Brillengläsern verzieht, lässt, wie seit jeher, auch mit dem letzten Song, dem Beatles-Cover "All You Need Is Love", lieber die Musik für sich sprechen, ringt sich anschließend aber dennoch zu einem anerkennenden Applaus für sein Publikum durch.

Prickelnde Nervosität der Art, wie man sie eher bei den 146 Roskilde-Neulingen (von insgesamt 188 Acts) erwarten würde, liegt eine Stunde später und eine Bühne weiter, im kunstvoll dekorierten Avalon in der Luft. Ihr Urheber allerdings, ist ein Hard- und Mathcore-Veteran und keinesfalls Neuling: Es handelt sich um Converge-Frontmann Jacob Bannon, der im Motörhead-Shirt schon Minuten vor der Stage-Time am Bühnenrand auf und ab tigert, während das ikonische Jane-Doe-Banner, vom schneidend kalten Wind immer wieder leicht bewegt, in der Bühnenmitte leuchtet. Neben Bannon steht Kurt Ballou, Gitarren-Virtuose und so unaufgeregt und unauffällig, als würde er dem, nach einem gebrochenen Ellenbogen glücklicherweise wieder einsatzbereiten, Schlagzeuger Ben Koller, der sich nun auch zu seinen Bandkollegen gesellt hat, eher den Fahrschein kontrollieren wollen, als mit zuckenden Fingern über das Gitarrengriffbrett zu jagen. Der Schein trügt doppelt, denn Converge sind zwischen furiosen Hardcore-Brettern wie "Dark Horse" auch eine der fröhlichsten Bands des Tages. Koller verteilt vor der Zugabe breit grinsend Wasserflaschen ans Publikum und Ballou beömmelt sich anhaltend, nachdem Bannon mit dem Fuß im Gitarrenkabel verheddert, ruckartig und cartoonesque auf den Rücken knallt. Da bleibt er dann auch gleich für den Rest des Songs liegen, der Schmerz fließt direkt von den Gliedmaßen durch die Lyrics wieder hinaus aus dem Körper, während Ballou noch eine Weile unter seinem Schnurrbart vor sich hin kichert und gleichzeitig mit der Hand an der Gitarre den Mosh-Pit in Schwung hält.

Converge Roskilde

Foto: Peter Troest

Glücklicher ist nur Robert Smith. Der The Cure-Frontmann strahlt mit der Orange Stage um die Wette und hat den Grund dafür ganz exklusiv: er freut sich über das Wetter aka 12 Grad und windig. Für ihn bedeutet das Wohlfühltemperatur und nicht weggeschwitztes Make-up, der dänische Sommer macht es möglich: "Ich kann gar nicht in Worte fassen, was mir das bedeutet", erklärt er fast schon rührselig, bevor, gewohnt ausdauernd, ein zweieinhalbstündiges Set folgt, das mit Songs wie "Pictures Of You" auch den 30. Geburtstag des The-Cure-Albums "Disintegration" feiert und das 49. Roskilde gebührend abschließt.

The Cure Roskilde

Foto: Kim Matthai Leland
Text: Juliane Kehr

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